Die Schweiz schaut seit Jahren gebannt darauf, ob ihre konsequente Schienengüterverkehrspolitik in Deutschland eigentlich eine Entsprechung findet. Viele Zweifel wurden durch die baubedingte Totalsperrung der Rheintalbahn für acht Wochen bestärkt. Was die deutschen Politiker von der Schweiz lernen können, hatte Fabienne Aemisegger von der Schweizer Botschaft im Gepäck als sie am 4. September zum "Spätsommerlichen Wiedersehen" dem Netzwerk die Ehre gab.
Rastatt beherrschte den Abend beim Netzwerk. Die Residenzstadt südlich von Karlsruhe steht seit drei Wochen im Mittelpunkt europaweiter Aufmerksamkeit von Güterbahnen und Verladern, leider aber nicht der deutschen und europäischen Verkehrspolitik. Die Unterbrechung des wichtigsten europäischen Güterverkehrskorridors durch Tunnelbauarbeiten unter der bestehenden Strecke bewegt auch die Schweiz. Fabienne Aemisegger, Leiterin der Wirtschaftsabteilung der Schweizerischen Botschaft in Berlin, brachte es auf den Punkt: „Welche schmerzliche Ironie, dass genau der Streckenbau, welchen die Schweiz im Rahmen des Staatsvertrags von Lugano für den Zulauf zur Eisenbahn-Alpentransversale NEAT immer wieder von Deutschland gefordert hatte, zur jetzigen Krise geführt hat.“ Aemisegger dankte allen Beteiligten für Ihr Engagement zur Minderung der Folgen, machte aber zugleich deutlich, dass man noch mehr internationale Abstimmung benötige. Dringend müssten die Umleiterverkehre grenzüberschreitend erleichtert werden, längerfristig die Ausbau- und Sanierungsplanungen besser aufeinander abgestimmt werden.
Annähernd 50 Vertreter aus Politik, Verbänden, Unternehmen, Presse und Wissenschaft waren auf Einladung des Netzwerks zum „Spätsommerlichen Wiedersehen“ gekommen. Der lang festgelegte Abend lag schließlich genau richtig: die Wetterlage spätsommerlich, sehr viele Akteure den ersten Tag wieder politisch tätig, am Vorabend der eintägigen Bundestagssitzung über Generaldebatte und vier verkehrspolitischen Havarien (Diesel-Skandal, Air-Berlin-Insolvenz und Rastatt-Krise) im Verkehrsausschuss gelegen und das alles 20 Tage vor der Bundestagswahl.
Aemisegger hatte in dieser Situation nicht nur Hoffnungen, sondern auch einige Erfahrungen im Gepäck, die sie den deutschen Verkehrspolitikern ans Herz legte. Etwa zum Deutschland-Takt: „Eine netzbasierte Planung der Schienenwege kann die Schweiz wärmstens empfehlen. Aber eine Taktverdichtung im Personenverkehr, beispielsweise ein Halbstundentakt zwischen Frankfurt und Basel, darf nicht auf Kosten von Güterverkehrstrassen eingeführt werden.“ Die Schweiz habe ihre Lektion am Lötschberg gelernt: Mit dem nun beschlossenen Netznutzungskonzept und dem für die jeweils sechs nächsten Fahrplanjahre detaillierter planenden Netznutzungsplänen sorge der Schweizer Bund erstmals dafür, dass dem Schienengüterverkehr künftig genügend Fahrrechte (Trassen) zur Verfügung stehen, vor allem solche, die für ihn vorgesehen waren. In der Vergangenheit sei es immer wieder vorgekommen, dass Trassen, die ursprünglich für den Schienengüterverkehr vorgesehen waren, vom Personen-Nahverkehr und -Fernverkehr beansprucht worden waren.
Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen und Gastgeber des Abends dankte Aemisegger für die „klaren Worte“, das sei schließlich keine Selbstverständlichkeit. Für einen Interessenvertreter der Eisenbahn sei es fürchterlich, in diesen Tagen so anhaltend über die Krise sprechen zu müssen, sozusagen über einen beschädigten Hoffnungsträger. Es müsse neben der Bewältigung der Krise dringend der Blick nach vorne gerichtet werden. Der „Masterplan Schienengüterverkehr“ müsse eher schneller umgesetzt werden und zugleich nach der Bewältigung der aktuellen Krise im Korridor der Impuls aus Rastatt in die nächste Legislaturperiode hinüber gerettet werden, damit nicht alle hiesigen Lehren nach wenigen Wochen vergessen seien. Dafür werde sich das Netzwerk weiterhin einsetzen. Westenberger wies auf den am gleichen Nachmittag veröffentlichten Offenen Brief von Verbänden aus halb Europa hin, die ein stärkeres Engagement der Politik einfordern, um die grenzüberschreitende Koordination zu verbessern.
Die Rheintalbahn müsse so schnell als möglich wieder in Betrieb genommen werden, jeder Tag zähle nicht nur für die Bahnunternehmen sondern auch die an ihrer Versorgung hängenden Unternehmen.
Langfristig sei am bedeutsamsten, dass die im Masterplan aufgeführten Modernisierungspotenziale des Schienengüterverkehrs schnellstmöglich durch einen neuen Anlauf einer schienenbezogenen Forschung und Anwendung gehoben werden. Anders als oft behauptet, sei durch effizientere betriebliche Vorschriften und technologische Modernisierung auch wettbewerbsfähige logistische Beiträge der Schiene und ein wesentlich höherer Marktanteil erzielbar.
Die Schweiz habe gezeigt, dass langfristig angelegte und in der Tagespolitik ernsthaft und gradlinig verfolgte Strategien zur Stärkung des Schienenverkehrs als nachhaltigem Verkehrsträger funktionieren würden. Westenberger wünschte sich im 50. Jahr des „Leber-Plans“, mit dem 1967 erstmals die Verlagerung von Güterverkehren von der Straße auf die Schiene als politisches Konzept von der Bundesregierung beschlossen worden war, dass in der kommenden Legislaturperiode die bei allen Parteien in den Programmen wiederzufindenden Ziele in konkrete politische Formen gegossen würden.