Der Bundesverkehrsminister stellt heute ein weiteres Baustellenschild für die nächste Koalition auf. Im annähernd dreijährigen „Infrastrukturdialog“ gelang es trotz punktuell großer Einigkeit und einer sachbezogenen Debattenkultur nicht, den von den Ampel-Parteien Ende 2021 angestrebten „Infrastrukturkonsens“ zu erzielen. Gleichzeitig plante die scheidende Regierung statt des 2021 angekündigten prioritären Schienenausbaus sogar die Neubauinvestitionen in die Schieneninfrastruktur deutlich zu kürzen.
Ungeachtet der erfreulich breiten Unterstützung von überjährigen Fondslösungen für die Infrastrukturfinanzierung und vielen notierten „Prüfwünschen“ hat der Infrastrukturdialog von Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing in den großen Fragen der Verkehrsinfrastrukturpolitik keine Fortschritte erzielt. Das liegt auch am Vorgehen des Ministeriums. DIE GÜTERBAHNEN kritisieren, dass der von den Ampel-Parteien eigentlich auf schnelle Ergebnisse angelegte Auftrag von der Wissing-Administration minimaldisruptiv gesteuert, in die Länge gezogen und auf einen eventuellen „Bundesverkehrswege- und Mobilitäts-Plan 2040“ statt auf die sogenannte „BPÜ“ ausgerichtet wurde. Die gesetzlich vorgeschriebene „Bedarfsplanüberprüfung“ (BPÜ) zum Ausbaustand der Bundesverkehrswege hat das BMDV drei Jahre verspätet am Tag der Vertrauensfrage des Kanzlers an das Parlament versandt – nicht aber an die Verbände im Infrastrukturdialog. Das Papier wurde weder im Parlament noch im „Infrastrukturdialog“ diskutiert.
„Besonders überraschend war im Infrastrukturdialog allerdings, dass die Wissing-Administration die geltenden verkehrs- und klimapolitischen Vorgaben aus Gesetz und Koalitionsvertrag einfach nicht als Prämissen akzeptiert und das Problem des weiter steigenden Finanzbedarfs ausgeklammert hat“, bilanziert GÜTERBAHNEN-Geschäftsführer Peter Westenberger im Vorfeld der heutigen Abschlussveranstaltung des Prozesses in Berlin. „Für die im Koalitionsvertrag beschlossene Investitions-Priorität der jahrzehntelang vernachlässigten Schiene gab es von vielen Verbänden keine Zustimmung, nachdem sich das Ministerium zuvor nicht dafür eingesetzt hatte.“
Im Ergebnis stehen Parteien, Parlamentarier:innen und das ganze Land zum Ende von Dr. Volker Wissings Amtszeit in der Infrastrukturpolitik ungefähr da, wo sie auch vor vier Jahren standen. Bereits vor der letzten Bundestagswahl herrschte Einigkeit über hohen Mittel- und Reformbedarf bei der dichten, rapide alternden und oft unzureichenden Infrastruktur. Wie mit wachsenden Verkehrsbedarfen sowie anspruchsvollen Klima- und Energieeffizienzzielen umgegangen und ob neue Prioritäten gesetzt werden sollen, war und wird weiter Gegenstand der politischen Diskussion sein. Westenberger: „Eine vergebene Chance. Die Ampel hat das Ministerium unbehelligt machen lassen.“
Die einzige – allerdings auch nur für Insider auffällige – wesentliche Neuerung besteht darin, dass auch der Verkehrsminister und Teile seines Hauses mittlerweile überjährige Fondslösungen unterstützen. Die vor allem im Schienensektor unterstützte Forderung, Planungssicherheit nach Schweizer Vorbild zu schaffen, wurde im Prozess auch konsensual von fast allen Verbänden aus dem industriellen wie auch aus dem Umweltbereich unterstützt.
Zeitgleich haben BMF und BMDV entgegen der Intention des Koalitionsvertrages Fakten geschaffen. Die langjährige Streitfrage, wie das Verhältnis der Investitionsmittel für die Erneuerung der bestehenden Netze und dem Bau zusätzlicher Infrastruktur aussehen soll, wurde für Straße und Schiene unterschiedlich beantwortet. Schon bisher war der Anteil der Ausbauinvestitionen bei der Straße höher als bei der Schiene. Das Schienennetz wuchs und wächst dementsprechend kaum. Und zuletzt wurden bei der Schiene die Neubauinvestitionen drastisch zurückgefahren, während der Straßenausbau stabil budgetiert wird. Die FDP-geführten Ministerien Verkehr und Finanzen sowie die DB InfraGO AG begründen den faktischen Planungsstopp mit dem – unstrittig – hohen Bedarf bei der Bestandsnetzsanierung. Sie vergeben damit aber Möglichkeiten zur Leistungssteigerung der Schiene und damit ihrer künftigen Wettbewerbsfähigkeit – einschließlich der Einsparung von Energie und Emissionen im Verkehrssektor.
Der „Infrastrukturdialog“ war als Auftrag im Koalitionsvertrag vom 8. Dezember 2021 wie folgt verankert:
(Zeile 1547) „(…) Wir streben einen neuen Infrastrukturkonsens bei den Bundesverkehrswegen an. Dazu werden wir parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplan. Bis zur Bedarfsplanüberprüfunggibt es eine gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte.
Wir werden auf Basis neuer Kriterien einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den Weg bringen. (…)“
Das Verhältnis von Bestandsnetz- und Ausbauinvestitionen bei Straße und Schiene und der im Verhältnis zur Schiene deutlich stärker finanzierte Fernstraßenbau wurde in einer am 18. März 2024 vom österreichischen Umweltbundesamt vorgestellten Studie untersucht.
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