Eine Milliarde zu hoch: Gutachten stellt Verzinsungsansprüche an die Schieneninfrastruktur in Frage
Die Netztochter der Deutschen Bahn AG bereitet eine weitere, drastische Erhöhung der Schienenmaut vor. Sie hat im derzeit laufenden Basisverfahren für die Trassenpreisgenehmigung 2019 bis 2023 bekannt gegeben, dass sie schon im übernächsten Jahr 557 Millionen Euro mehr als bisher den Verkehrsunternehmen in Rechnung stellen können möchte – ohne Steigerung der Verkehrsmenge. Die Kosten lägen damit um gut 10 Prozent höher als im Schnitt der Jahre 2014 bis 2016.
Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Verband der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI) sehen in dem Vorhaben einen erneuten unverantwortlichen Angriff auf den gesamten Schienenverkehr. VPI-Geschäftsführer Jürgen Tuscher: „Dass die Schiene im Markt Anteile verloren hat, anstatt welche hinzu gewinnen zu können, ist vor allem auf steigende Trassen- und Energiekosten zurückzuführen.“ Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt werden könne, gebe es keine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene, dafür aber höhere Klimagasemissionen, mehr Unfälle und noch verstopftere Straßen. Tuscher: „Die Trassenpreise müssen runter und deswegen haben wir uns die Pläne der DB Netz AG kritisch angeschaut!“ Als Gegenreaktion sei ein schneller „Doppelschlag“ der Bundesregierung zur Senkung der Trassenpreise erforderlich: Berlin müsse kurzfristig die Trassenpreise halbieren und die Mechanismen überprüfen, die den Trassenpreis in die Höhe treiben.
Im Auftrag von NEE, GDL und VPI haben Prof. Dr. Christian Böttger und Prof. Dr. Marita Balks von der HTW Berlin die Berechnung der Kapitalkosten untersucht. Dabei ging es um die Frage, ob die von der DB Netz AG angewandten Methoden zur Ermittlung der gesetzlich zulässigen Verzinsung des eingesetzten Kapitals geeignet sind. Die Kapitalkosten werden bestimmt durch Zinsen für geliehenes Fremdkapital sowie den Gewinnanspruch des Eigentümers, der auch das investierte Eigenkapital einschließt.
Im Ergebnis, so Böttger in Berlin „sehen Frau Dr. Balks und ich nur Kapitalkosten von rund 270 Millionen Euro als gerechtfertigt an. Die DB Netz AG hingegen hat Kapitalkosten von 1,225 Mrd. Euro angesetzt. Diese erhöhen die Trassenpreise und müssen zusätzlich von den Eisenbahnverkehrsunternehmen erwirtschaftet werden. Solche Trassenpreise würden die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene, besonders im Güterverkehr, massiv beeinträchtigen.
Böttger und Balks haben fünf Elemente identifiziert, die zur überhöhten Ausweisung der Kapitalkosten durch die DB Netz AG führen:
NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger wies in Berlin auf die politischen Dimensionen des laufenden Genehmigungsverfahrens hin: „Im Eisenbahnregulierungsgesetz wurde der DB Netz AG gegen viele Bedenken eine Umlage aller Kosten plus eine kapitalmarktübliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals zugestanden. Wenn eines der ersten Ergebnisse dieses Gesetzes nun das größte Trassenpreissteigerungsprogramm der DB-Unternehmensgeschichte werden sollte, hat vor allem Berlin versagt.“ Während Bundesverkehrsminister Dobrindt seinen später nahezu unverändert beschlossenen Entwurf des Eisenbahnregulierungsgesetzes den Parlamentariern auch „zur Dämpfung der Trassenpreise“ empfohlen hatte, hängt die reale Trassenpreisentwicklung nun von der Bundesnetzagentur ab. Das Netzwerk hat deswegen das Balks/Böttger-Gutachten im Verfahren für die „Festlegung des Ausgangsniveaus der Gesamtkosten“ bei der Bonner Behörde eingebracht und gefordert, wie von den Gutachtern dargelegt, rund eine Milliarde Euro der beantragten Kapitalkosten nicht anzuerkennen.
Das laufende Verfahren ist nach Westenbergers Worten für den Güterverkehr auf der Schiene besonders relevant, weil die „beantragte Kostenexplosion“ Güter- und Personenverkehr unterschiedlich betreffen würde. Für den Nahverkehr gilt eine gesetzliche „Trassenpreisbremse“, wonach der jährliche Trassenpreisanstieg 1,8 Prozent nicht übersteigen darf. Da durch den deutschen Sonderweg zur Netzfinanzierung alle Kosten auf die Nutzer verteilt werden, müssen der Personenfernverkehr und ab 2020 auch der Güterverkehr auf der Schiene die Differenz begleichen und dann überproportional steigende Trassengebühren schultern.
GDL-Vorsitzender Claus Weselsky betonte, dass man nun versuche, mit der schlechten rechtlichen Ausgangslage den Schaden für den Schienenverkehr zu minimieren. Gefordert sei jedoch vor allem die neue Bundestagsmehrheit, die sich im Herbst „unverzüglich“ mit den drängenden Aufgaben einer Weiterentwicklung der missglückten Bahnreform von 1994 beschäftigen müsse. Weselsky: „Berlin muss reinen Tisch machen. Die unrealistischen und für den Schienenverkehr verheerenden Verzinsungsansprüche müssen aufgegeben werden. Die Bereitstellung einer funktions- und leistungsfähigen Infrastruktur ist wie bei allen Verkehrsmitteln eine staatliche Aufgabe.“ Die GDL plädiert in ihrem vor wenigen Tagen beim Gewerkschaftstag in Ludwigshafen beschlossenen Leitantrag dafür, das Herzstück des Eisenbahnsystems – die Infrastruktur – neu zu ordnen und zukunftsfähig auszurichten. Nur durch eine Infrastrukturreform könne die Leistungsfähigkeit des Systems gesteigert und im Ergebnis der Marktanteil der Eisenbahnen in Deutschland nachhaltig erhöht werden. Dafür müssten DB Netz, DB Station und Service, DB Energie und die Werkstätten in einer Gesellschaft zusammengeführt und zwingend von der Gewinnorientierung befreit werden. Geeignet hierfür wären eine gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG) oder eine gemeinnützige GmbH (gGmbH). Dies sei auch innerhalb des DB Konzerns möglich, sichere dort die Transparenz über Mittelzuflüsse, Investitionen und Finanzierungskreisläufe. Weselsky: „Entgleisungen wie die dargestellten Anträge zu den Kapitalkosten kämen dann gar nicht mehr vor!“