Der knapp zwei Wochen alte Wechsel an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums könnte den lang erhofften Wandel in der Eisenbahnpolitik des Bundes einleiten. 2021 wuchs die Leistung der Güterbahnen, die politischen Verkehrsverlagerungsziele benötigen aber auch den politischen Aufbruch
Berlin, 20. Dezember 2021
„Wir haben das Beste daraus gemacht!“ sagte der Vorstandsvorsitzende des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), Ludolf Kerkeling, heute gegenüber der Presse in Berlin über die geschäftliche Entwicklung und das politische Umfeld der Güterbahnen. Auch 2021 hat das Bundesverkehrsministerium keine entscheidenden Schritte zur Erreichung seiner eigenen Zielsetzung unternommen, den Anteil der Schiene im Güterverkehr bis 2030 von zuletzt 18 auf mindestens 25 Prozent zu steigern. „Nachfrage und Auslastung waren allerdings gut bei unseren Unternehmen. Ich gehe davon aus, dass zuletzt auch das Vor-Pandemie-Niveau bei der Verkehrsleistung übertroffen wurde.“ Die Tatsache, dass sich die Regierung im April besonnen und einen Teil der ursprünglich nur für die DB vorgesehenen Corona-Hilfen diskriminierungsfrei per Trassenpreisförderung allen Güterbahnen nach gleichen Maßstäben und auch rückwirkend bis zum Beginn der Pandemie ausgezahlt hat, verbucht der Verbandsvorsitzende als “späten Sieg der wettbewerbspolitischen Vernunft, auch wenn es des Drucks aus Brüssel bedurfte.“ Allerdings ist für Kerkeling auch wenige Tage vor dem Abschluss des Bundeshaushalts 2021 „nebulös“, was mit rund 1,4 Mrd. Euro aus den vom Bundestag bereitgestellten DB-Corona-Hilfen in Höhe von 5 Mrd. Euro geschieht, zu denen es bisher keine Entscheidung der EU gegeben hat.
Die Güterbahnen sehen unverändert das Problem, dass Corona-Hilfen an den Konzern durch den vertraglich geregelten konzerninternen Defizitausgleich unter anderem die DB Cargo vor dem Insolvenzverfahren bewahren. Sie warten nun gespannt auf die Veröffentlichung der Zahlen des Marktführers DB Cargo, der Meldungen anderer Güterbahnen zufolge immer wieder mit Preisen unter Kosten operiert. Trotz erheblicher Förderung durch den Bund – Kerkeling nennt neben der allen Güterbahnen gleichermaßen zugänglichen Trassenpreisförderung die faktisch DB-Cargo-exklusive Anlagenpreis- sowie die Energieeffizienzförderung des Bundes – wies die staatliche Güterbahntochter immer höhere Defizite aus. Im 1. Halbjahr 2021 lag das negative EBIT bei 211 Mio. Euro. Im Vergleichszeitraum 2019, vor der Corona-Krise, lag es noch bei ähnlichem Umsatz „nur“ bei minus 132 Mio. Euro.
Kerkeling: „Wir vermuten, dass sich die DB Cargo im Vertrauen auf fortgesetzte Defizitabdeckung durch den Konzern und Bundesförderprogramme gezielt mit ihrer Preispolitik Auslastung und Marktanteile sichert. Dies übt Druck auf die Wettbewerber und ihre schmale Marge aus und ist wettbewerbsrechtlich unzulässig. Dem Ganzen die Krone setzt dann der Erwerb des Logistikers FLS/Transa durch die klamme DB Cargo für etwa 100 Mio. Euro auf, der vor drei Wochen bekannt wurde.“ Kerkeling kündigte nun in Berlin an, den gesamten Komplex noch einmal zu durchleuchten, nachdem die EU-Kommission bisher weder auf Hinweise auf die problematische Preispolitik reagiert hat, noch eine Antwort aus Berlin und Brüssel vorliegt, was mit dem nicht notifizierten Rest der vom Bundestag bereitgestellten 5-Milliarden-Euro-Hilfe geschehen sei.
Auch die Probleme mit der Qualität der DB-Infrastruktur belasten die Güterbahnen und ihre Kundenbeziehungen immer stärker. Das Jahr 2021 hat nach Einschätzung des Verbandes bei der Baustellenkoordination und dem Umgang mit Störungen keine Besserung gebracht, sondern eher noch mehr Probleme bereitet. Insbesondere der unveränderte IT-Rückstand sowie der offensichtlich vergrößerte Personalmangel in den Fahrplanbüros machen allen Beteiligten das Leben schwer. Auch der Minusrekord 2021 an neu in Betrieb genommener Infrastruktur (4,2 Kilometer) muss Anlass für eine gründliche Durchleuchtung der DB Netz AG sein.
Ludolf Kerkeling: „Alles in allem ist beim Blick auf die Zahlen festzuhalten, dass die große Koalition im Verkehrsmarkt kaum etwas bewegt hat. Große Hoffnungen richten sich nun auf die neue Regierung, die einen Aufbruch verspricht. Wir erhoffen uns kräftigen Rückenwind.“ Der Koalitionsvertrag enthält für die Schiene viele wichtige Ankündigungen, allerdings nur wenige konkrete Zahlen. Kerkeling: „Jetzt hängt viel vom neuen Bundesverkehrsminister ab. Wir erwarten eine Agenda, die der Schiene ebenso klar Priorität einräumt wie der Ampel-Vertrag. Beim Infrastrukturausbau über die Innovationsförderung und die Bahnreform bis hin zum Ende unnötiger Bürokratisierung gibt es viele jahrzehntelang vernachlässigte Handlungsfelder.“
Für Ideen, die es nicht in den Vertrag geschafft haben, zum Beispiel die längerfristig gesicherte Infrastrukturfinanzierung durch einen Schienenfonds, wollen die Güterbahnen weiter kämpfen. Eine erste Nagelprobe sind für sie der Nachtragshaushalt 2021 und der Bundeshaushalt 2022 und beispielsweise die Frage, ob bei den Zukunftsinvestitionen in Höhe von bis zu 60 Milliarden Euro auch relevante Vorhaben im Schienenbereich dabei sind. Im Güterverkehr muss Berlin intermodale Transportketten mit der Schiene als Rückgrat voranbringen, statt mit Milliardenaufwand Langstrecken-Lkw mit alternativen Antrieben zu subventionieren.
Kerkeling warnte aber vor allem davor, wie bisher nur Papiere zu schreiben sowie Löcher im Kiel der MS DB AG zu stopfen und gleichzeitig die Bedeutung der Wettbewerbsbedingungen zu negieren. Kerkeling: „Für das zur Erreichung der Klimaziele im Verkehr und vor allem im meist kaum beachteten Güterverkehr entscheidende Wachstum auf der Schiene, müssen die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen angefasst werden. Es geht beispielsweise um die unterschiedliche Kontrollintensität zwischen Straße und Schiene, das Dieselsteuerprivileg oder die benachteiligende Bepreisung der Schieneninfrastruktur. Die Regierung hat nur zwei Alternativen: einige kontroverse Debatten durchhalten oder 2025 mit ebenso leeren Händen dastehen wie Andreas Scheuer.“
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