Seit Jahren beklagen Eisenbahnunternehmen massive und häufig unkalkulierbare Behinderungen durch Baustellen im deutschen Schienennetz und verlangen als Gegenmaßnahme eine bessere Planung und Abstimmung von der DB Netz AG. In den vergangenen vier Wochen kulminierten die Probleme vor allem in Nordrhein-Westfalen und entlang der Rheintalbahn. Jetzt verschärfen die Güter-bahnen ihre Kritik.
Berlin, 16. Dezember 2021
Für den Schienenverkehr ist die derzeitige Betriebsführung der DB Netz so brauchbar wie eine zuckende Neonröhre im fensterlosen Treppenhaus. Vor allem für Güterzüge heißt es immer wieder: Anhalten und auf unbestimmte Zeit abwarten!
Seit etwa vier Wochen wird vor allem der Schienengüterverkehr durch schlecht koordinierte Baustellen und Verbindung mit vielen Störungen an Weichen oder Signalen und durch fehlendes Personal für Ersatzfahrpläne deutlich mehr als üblich behindert. Ludolf Kerkeling, Chef des Güterbahnen-Verbandes NEE, zieht ein aktuelles Beispiel heran: „Ich zitiere Mal aus der E-Mail eines Mitglieds: „Wir haben gerade gestern wieder einen kompletten Zusammenbruch erlebt mit fast 8 Stunden Zusatzverspätung bei einem Zug von Venlo bis Kehl. 20 (!!!) Überholungen, 1 Fehlhandlung DB Netz und allein 2:40 Stunden plus durch eine Weichenstörung.“
Kerkeling weiter: „Das muss aufhören. Der Eisenbahnverkehr ist von allen Verkehrsmitteln am stärksten auf eine uneingeschränkt funktionsfähige Infrastruktur angewiesen, sonst bricht die aufwändige Planung aller Beteiligten in sich zusammen.“ Wie der Personenverkehr pünktlich Bahnhöfe anfahren muss, haben die Güterbahnen ihre Zusagen an die verladenden Unternehmen einzuhalten. Und sie müssen neben der Trasse von DB Netz dafür auch Loks, Personal und Wagen exakt und effizient disponieren. Davon, so Kerkeling, „kann derzeit vor allem im Westen des Landes keine Rede mehr sein.“
Am Wochenende eskalierte die Situation weiter. Vermutlich die am vergangenen Samstag publik gewordene Log4Shell-Sicherheitslücke dürfte die DB Netz dazu bewogen haben, zusätzlich die wichtigsten elektronischen Kommunikationswege zu ihren Eisenbahn-Kunden zu kappen. Seit gestern funktionieren wenigstens die herkömmlichen Übermittlungen von Trassenbestellungen und Abstellgleis-Buchungen wieder. Für rund fünf Tage mussten Trassenbuchungen per Fax übermittelt werden, was zusammen mit dem hohen Bedarf an zu überarbeitenden Fahrplänen DB Netz personell endgültig überforderte. Der Effekt: Güterzüge warten beispielsweise an den innerdeutschen Regionalbereichsgrenzen der DB stundenlang auf Fahrpläne für ihre Weiterfahrt.
„Weil zu den massiven alltäglichen Behinderungen auch noch eine völlige Sprachlosigkeit unseres wichtigsten Dienstleisters hinzukommt, gehen wir mit unserem Frust an die Öffentlichkeit. Es herrscht vollständige Funkstille im Management zu Ursachen und Abhilfen. Und selbst für die notwendige Ad-hoc-Disposition bekommen unsere Mitglieder häufig selbst in den großen Betriebszentralen niemanden ans Telefon.“, sagt Ludolf Kerkeling.
Und weiter: „Die Güterbahnen müssen ihren Kunden aus Industrie und Handel besonders im Peak zum Jahresende Abweichungen vom Leistungsversprechen des minutengenauen Fahrplans erklären, ohne selbst über die nötigen Informationen zu verfügen.“ Der Verband wartet auf Antwort auf ein fast drei Wochen altes Schreiben an den Netz-Vorstandsvorsitzenden und auf eine Nachfrage von dieser Woche an den zuständigen Netzvorstand.“ Kerkeling: „Wie kann das sein? Wir stellen uns jetzt mal vor, die Autobahn-GmbH des Bundes hätte sich binnen drei Wochen nach den Sperrungen der Salzbachtalbrücke oder der Rahmede-Brücke bei Lüdenscheid weder öffentlich geäußert noch auf Schreiben der Präsidenten von ADAC und BGL reagiert. Der Bund darf der DB nicht das gleiche Verhalten wie nach der Tunnelhavarie von Rastatt durchgehen lassen. Als Sofortmaßnahme fordern wir, dass DB Netz ab sofort ihre Managementinformationen zum Störungsgeschehen samt aller Messgrößen veröffentlicht.“
Kerkeling: „Nicht nur die Kunden, sondern auch immer mehr Lokführer:innen drohen abzuspringen, wenn sie mangels Fahrplanunterlagen an den innerdeutschen Regionalbereichsgrenzen der DB Netz immer wieder stundenlang auf rote Signalen starren. Vieles passt bei der DB nicht zusammen: der ganze BahnTower spricht seit Jahren von der Digitalisierung, aber in der Praxis haben wir nicht DB Netz 4.0, sondern 0.4. Wiederkehrend merken wir, dass in den Fahrplanbüros der DB Netz AG Leute fehlen, aber das Unternehmen hat dort Personal abgebaut und wies gleichzeitig allein im 1. Halbjahr einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 302 Mio. Euro aus.
Nach Auffassung des Güterbahnen-Chefs sollten die verantwortlichen Vorstände der DB Netz und des Konzerns „ernsthaft überlegen, ob sie nicht von sich aus demissionieren, weil sie das chronische und wiederkehrend eskalierende Chaos nicht in den Griff bekommen.“
Darauf wollen die Güterbahnen allerdings nicht warten. Kerkeling kündigte an, die Bundesnetzagentur um die Eröffnung eines Verfahrens zu bitten. Die negativen Auswirkungen schlecht geplanter Baustellen, die für den Güterverkehr zu wenig Restkapazität übriglassen, ist laut Kerkeling bereits seit geraumer Zeit Gegenstand eines Verfahrens bei der Regulierungsbehörde. Dort musste sich die DB Netz bereits sagen lassen, dass ihre Prozesse für die Bauplanung und -kommunikation europäischem Recht nicht genügen. Das Ausmaß vor allem akut auf-getretener Probleme hat in den vergangenen Wochen aber den Charakter einer faktischen systematischen Einschränkung der Betriebspflicht und des Zugangsrechts der Güterbahnen bekommen, so dass „wir bei der Regulierungsbehörde jetzt noch einmal nachlegen werden.“ (Kerkeling).
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