Egal ob Privatbahn oder DB, ob Güterzug, FlixTrain oder Regionalbahn, alle sind darauf angewiesen, dass Fahrdienstleiter:innen sie weiter in Richtung ihres Zieles bringen. Diese „Fluglotsen“ der Eisenbahn lenken aus den Stellwerken den angrenzenden Zugbetrieb und sorgen gleichzeitig ohne großes Aufsehen für Sicherheit: In einem Abschnitt zwischen zwei bestimmten Signalen darf immer nur ein Zug sein. Doch häufig haben die Eisenbahnverkehrsunternehmen mit unbesetzten Stellwerken zu kämpfen. Weil das Problem immer größer wurde und die zuständige DB keine Zahlen veröffentlichte, griffen die GÜTERBAHNEN im Sommer 2023 zur Selbsthilfe: Allein im Zeitraum von Mitte August bis Ende Dezember 2023 meldeten Mitgliedsunternehmen zusammengefasst Ausfallzeiten von 18 Stunden am Tag und mehr. Die Meldungen kamen aus ganz Deutschland und waren dennoch nicht vollständig. Hoffnungen auf eine baldige Lösung wurden enttäuscht.
Unbesetzt ist ein Stellwerk, in dem wegen hoher Krankenstände, fehlendem Nachwuchs und einer zu optimistischen Personalplanung, die teilweise rund um die Uhr notwendige Besetzung mit qualifizierten Mitarbeiter:innen vom Netzbetreiber DB InfraGO nicht gewährleistet werden kann und der dann die angrenzenden Strecken für „nicht befahrbar" erklärt. Überproportional ist der Güterverkehr betroffen, da man für Fahrgäste den Betrieb in der Regel aufrechterhalten will und darum das Personal am Tag sicherstellt, während zu den Nachtstunden Ausfälle in Kauf genommen werden. Güterwagen haben nun mal keine Fahrgastrechte und Beschwerden von Kunden:innen im Güterverkehr werden selten öffentlichkeitswirksam. Bei Stellwerksausfällen müssen Züge auf andere Strecken ausweichen, der Fahrplan und die fein geplanten „Umläufe” von Triebfahrzeugen und Wagen werden durcheinandergewirbelt und im Extremfall fallen Züge komplett aus. Für die DB InfraGO ist das Thema damit erledigt, für die Auftraggeber des Transports von beispielsweise 200 Pkw zum Exporthafen natürlich nicht.
Akut führen Krankheitsausfälle und Urlaube zu Engpässen, doch das Problem liegt tiefer: Die überalterte Personalstruktur gepaart mit einem Nachwuchsproblem gehen dem voraus, sind seit Jahren bekannt und haben wegen einer wochenlangen Blockade des Mainzer Hauptbahnhofs 2013 schon einmal für riesigen Wirbel und „Nie-mehr”-Schwüre gesorgt. Das Ruder erfolgreich herumgerissen hat die DB InfraGO bislang nicht. Die Deutsche Bahn bezeichnet die Lage hingegen gern als „Ausnahmefälle“ – dass es sich hierbei um ein systematisches Problem handelt, zeigen jedoch die Recherchen, die DIE GÜTERBAHNEN auf DB-Watch veröffentlicht haben. Die Summe ausfallender Stellwerke summierte sich zwischen Mitte August und Ende Dezember 2023 zu stolzen 2.594 Stunden. Das entspricht 108 vollen Tagen und im Schnitt kumulierten Ausfallszeiten von 18 Stunden pro Tag, an denen auf den betroffenen Strecken kein Schienenverkehr möglich war.
Mithilfe einer Personalkampagne möchte die DB InfraGO Nachwuchskräfte gewinnen und für den systemrelevanten Beruf ausbilden. Durch einen planmäßigen Personalaufbau sollen sich sukzessive Verbesserungen einstellen. Das Planziel der DB InfraGO sieht vor bis 2025 den personellen „Normalzustand“ herzustellen. Das ist zum einen zu spät, zum anderen scheinen im Hinblick auf das Ausmaß des Problems und die bisherigen Erfahrungen Zweifel angebracht, ob das Planziel erreicht wird. Auch die seit einigen Jahren für die Sicherung der gesetzlichen Betriebspflicht zuständige Bundesbehörde, die Bundesnetzagentur, ist offenbar zu schwach, um steuernd einzugreifen. In einem von den GÜTERBAHNEN eingeleiteten Beschwerdeverfahren hat sie nach fast einem Jahr lediglich die vorgelegten DB-Personalentwicklungsplanungen akzeptiert und durch die Androhung von vergleichsweise niedrigen Zwangsgeldern abzusichern versucht.
Aus Sicht der GÜTERBAHNEN wären dagegen Sofortmaßnahmen angemessen gewesen: Dazu gehören die Einführung eines regionalen Bereitschaftsdienstes für besonders kritische Umleiterstrecken während der Korridorsanierungen sowie die Besetzung von Stellwerken in chronisch unterbesetzten Regionen wie zum Beispiel Frankfurt am Main mit finanziellen Anreizen sicherzustellen. Im Rhein-Main-Gebiet hat sich die Situation in den letzten Tagen durch den Ausfall des Stellwerks Gießen so weit hochgeschaukelt, dass der Fahrgastverband Pro Bahn Hessen gegenüber der Frankfurter Rundschau von „katastrophalen Zuständen", „Schönrederei" und dem „Staatsnotstand Schiene" berichtet. Um solche Extremzustände in Zukunft zu vermeiden, gehören auch die Verbesserung der Betriebsplanung zur frühzeitigen Harmonisierung von Baumaßnahmen und Stellwerksuntersuchungen für DIE GÜTERBAHNEN zu den Möglichkeiten, die als Sofortmaßnahmen geprüft werden sollten.