Eine bisher zweigleisige Eisenbahnstrecke mit zwei zusätzlichen Gleisen zu versehen, ermöglicht die Verdoppelung der Zugzahlen, steigert also grundsätzlich die Kapazität um 100 Prozent. Warum bringt dann ein kaum weniger aufwändiger dreigleisiger Ausbau nicht die erwartete Steigerung der Kapazität um 50, sondern nur etwa 20 Prozent?
Dass Züge hierzulande in der Regel auf dem rechten Gleis in die eine Richtung fahren und auf dem anderen Gleis entgegenkommen, ist üblich, aber nicht alternativlos, und wird in vielen Nachbarländern auch anders gehandhabt. Bei der Festlegung geht es, anders als viele Menschen vermuten, nicht um den Kollisionsschutz, da Gleise technisch in beide Richtungen befahren werden können. Bei eingleisigen Strecken ist das sogar zwingend. Signalisierung und Sicherungstechnik regeln aber die Fahrmöglichkeiten und verhindern Kollisionen. Wenn Züge hintereinanderfahren, wird die Kapazität der Strecke schlicht am effizientesten genutzt. Prinzipiell gilt auch: je ähnlicher die Geschwindigkeiten der Züge, desto mehr Züge können die Strecke nutzen. Am anspruchsvollsten ist die Organisation des Fahrplans für den Schienennetzbetreiber, wenn er schnelle Züge mit wenigen Halten (Personenfernverkehr), verschieden schnelle Züge mit vielen Halten (Personennahverkehr) und maximal 100 Stundenkilometer schnelle Züge mit besonders wenig notwendigen Halten (Güterverkehr) auf der Strecke planerisch und dann jeden Tag aufs Neue durch Fahrdienstleiter:innen möglichst effektiv koordinieren muss.
Das deutsche Schienennetz wurde über viele Jahre überwiegend geschrumpft und nur an wenigen Stellen durch zusätzliche Gleise oder Strecken erweitert. Es wird auf immer mehr Strecken immer voller. Bei allen drei Verkehrsarten wächst die Nachfrage. Doch der Verkehr lässt sich immer häufiger nicht mehr weiter verdichten. Es müssen neue Gleise her. Viele Aus- oder Neubaumaßnahmen hat der Bundestag bereits mehrfach anlässlich der aktualisierten Beschlüsse des Bundesschienenwegeausbaugesetzes beim Bundesverkehrsministerium und der Deutschen Bahn in Auftrag gegeben – ohne dass sie realisiert wurden. Mangelnde Finanzmittel und zurückhaltende Annahmen zum erwarteten Wachstum des Schienenverkehrs – die sich nun als zu zurückhaltend erwiesen haben – spielten dabei eine wichtige Rolle. In manchen Fällen kommt die obligatorische, aber veraltete Nutzen-Kosten-Rechnung des Bundes zum Ergebnis, für ein zusätzliches Gleis gebe es einen volkwirtschaftlichen Nutzen, für zwei auf einmal jedoch nicht. Das so verursachte Zögern des Bundes hat mit dem dreigleisigen Ausbau von Strecken ein Phänomen hervorgebracht, das möglichst bald der Vergangenheit angehören sollte. Strecken wie Hanau-Gelnhausen in Hessen, von Stelle (südlich von Hamburg) nach Lüneburg oder aktuell von Emmerich am Niederrhein nach Oberhausen und möglicherweise auch zwischen Lüneburg und Uelzen. Das neue Gleis ist kein klassisches Richtungsgleis. Es soll in beide Richtungen genutzt werden. Trotz intelligenter Kombination mit einem der beiden Richtungsgleise gelingt das nur suboptimal. Und zwar in der Regel wegen der großen Abstände, die zwei sich entgegenkommende Züge im gesicherten Zugbetrieb einhalten müssen.
Nur der Ausbau von zwei auf vier Gleise schafft die im Verhältnis zum Aufwand viel höhere, nämlich verdoppelte Kapazität einer Strecke und damit auch Qualitäts- und Wachstumsreserven. Also lieber gleich richtig ausbauen. Denn volkswirtschaftlich ist der Verzicht auf das vierte Gleis besonders dann unsinnig, wenn in einem wachsenden Markt schon nach kurzer Zeit die Prämissen der Wirtschaftlichkeitsrechnung durch steigende Zugzahlen überholt sind und kaum nach Fertigstellung des dritten Gleises die Planung für das vierte beginnen muss, bzw. müsste. Die Begeisterung ist dann sehr begrenzt: nochmal Diskussionen mit Anwohner:innen und Kommunalpolitik, Planungsaufwand, Rechtsverfahren und schließlich ein Umbau erst kürzlich errichteter Lärmschutzwände, Oberleitungen und Stellwerke. Mit dem Ziel, den Marktanteil der Schiene im Güterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen, gibt es einen guten Grund, längerfristiger zu denken und den Ausbau der vorhandenen Schienenstrecken nachhaltiger zu organisieren.