Am 07. Dezember 1835 schlug mit der Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth die Geburtsstunde der deutschen Eisenbahn. Unter dem Blick von 200 Schaulustigen eröffnete die englische Dampflokomotive „Adler“ die sechs Kilometer lange Strecke in Franken. Heute, 190 Jahre später, wird die Eisenbahn in Deutschland national und international belächelt. Damit sich das ändert und alle zum 200. Jahrestag wieder stolz auf die Schiene in Deutschland sein können, müssen die nächsten zehn Jahre beispiellos sein: Sanierung, die Hand in Hand geht mit dem beschleunigten Neu- und Ausbau des Netzes, Verlagerung von Personen und Güterverkehren auf die Schiene und fairer Wettbewerb der Verkehrsträger entstehen nicht über Nacht, sie müssen politisch entschieden werden. Deutschland spielt eine Schlüsselrolle im europäischen Schienengüterverkehr: Als Transitland im Herzen Europas ist es das Rückgrat für den kontinentweiten Verkehr.
Eine GÜTERBAHNEN-Analyse des Koalitionsvertrags förderte zutage, dass Union und SPD einige der großen Hemmnisse des Schienenverkehrs erkannt haben und angehen wollen. Sie versäumen jedoch, entschiedene Schlüsse zu ziehen. Ein nachvollziehbares Güterverkehrskonzept oder Aussagen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit fehlen, die Absichtserklärungen zu Reformen bei der Deutschen Bahn bleiben diffus. Vor allem die versäumte Mitnahme der zuvor auch von der Union mitgetragenen Verlagerungsziele – 25 Prozent Marktanteil des Schienengüterverkehrs und Verdopplung der Fahrgastzahlen – aus dem Koalitionsvertrag der Ampel ist bedenklich. So liegt trotz der Festlegung von zusätzlichen Ausgaben für Infrastrukturmaßnahmen noch einiges an Arbeit vor der Bundesregierung, um das verkehrspolitische Gerüst des Koalitionsvertrags positiv auszugestalten. Mit über 38.000 Kilometern verfügt Deutschland über das längste Eisenbahnnetz in Europa. Historisch gesehen wurde es nicht nur durch staatliche Initiative aufgebaut, sondern auch unter erheblicher Beteiligung privaten Kapitals realisiert. Viele der ersten Strecken wurden von privaten Gesellschaften geplant, finanziert und betrieben – ein Modell, das heute angesichts des von der öffentlichen Hand massiv ausgebauten Straßennetzes nicht ohne Weiteres kopierbar wäre.
Die Historie beweist, welche Entwicklungssprünge bei der Eisenbahn möglich sind: Gebaut wurde die damalige „Ludwigsbahn“ nach englischem Vorbild: Massive Schienen, zwischen denen ein Weg aus gestampftem Kies führte, damit die Bahn im wechselnden Betrieb von einer Dampflokomotive und von Pferden gezogen werden konnte. Während im 19. Jahrhundert also vor die Bahn gespannte Pferde Antriebsenergie für einen Zug liefern mussten, ist der Schienengüterverkehr in Deutschland inzwischen zu rund 95 Prozent elektrisch unterwegs – mit hochmodernen E-Loks.
Die private Eisenbahnbranche arbeitet auch mit ihrer Innovationskraft unermüdlich auf die Transportverlagerung hin. Wir gehen sogar weiter: Bis 2035 soll und kann der Anteil des Schienengüterverkehrs auf 35 Prozent anwachsen. Dazu ist ein völlig anderer Umgang für Sanierung und Ausbau der Schieneninfrastruktur mit den trotz Sondervermögen begrenzten Mitteln des Bundes erforderlich. Die neue Regierung sollte die Herausforderung annehmen und auf Freitag, den 07. Dezember 2035 hinarbeiten: Auf einen Feiertag und nicht einen Tag, an dem man verschämt Entschuldigungen für die miserable Lage des Schienennetzes sucht.