Vor kurzem feierte die Rail & Logistik Center Wustermark GmbH, ein Tochterunternehmen der Havelländischen Eisenbahn AG (HVLE), die Einweihung eines eigenen sogenannten „740-Meter-Gleises“ in ihrem Rangierbahnhof in Wustermark westlich von Berlin. DIE GÜTERBAHNEN gratulieren damit zur Inbetriebnahme des ersten von fünf Gleisen, die 2023 auf eine Nutzlänge von 740 Metern erweitert werden – (nur) vier weitere steuert die DB Netz AG 2023 bei. Die HVLE begann mit der Planung Ende 2021. Nach einem knappen Jahr konnte im Oktober 2022 mit dem Bau begonnen werden. Ein halbes Jahr später ist das Gleis in Betrieb gegangen, fünf weitere sollen in Wustermark bis Ende 2024 folgen. Erhebliche finanzielle Unterstützung kommt vom Land Brandenburg – eine beispielhafte Investition, die auch bei anderen Bundesländern Schule machen sollte. Warum die Absicht der DB Netz, bis Ende 2024 sechs 740-Meter-Gleise in Betrieb zu nehmen, zu wenig ist, erläutern wir in unserer heutigen Zahl des Tages.
Die DB Netz hat angekündigt, in diesem Jahr vier Gleise auf 740-Meter Nutzlänge zu bringen. Ein Erfolg?
Nur bedingt: Obwohl das 740-Meter-Programm schon 2010 auf den Weg gebracht wurde und endlich 2018 absolut unüberraschend die Nutzen-Kosten-Berechnung des Bundesverkehrsministeriums mit einem Rekordwert von 4,8 bestand, kommt das Programm nur schleppend voran. Einst kündigten Bund und DB als erste Tranche 75 740-Meter-Gleisvorhaben an, in Betrieb genommen wurden bisher aber nur 19.
740 Meter bzw. normallange Überhol- oder Abstellgleise sind nötig, um die knappen Kapazitäten im Schienennetz bestmöglich auszulasten und den Schienengüterverkehr im Wettbewerb mit dem Lkw wirtschaftlicher zu machen. Da Güterzüge in der Regel auf freier Strecke 100 km/h fahren, wollen die schnelleren Personenzüge immer wieder überholen. Dafür muss der Güterzug in ein neben dem Hauptgleis liegendes Abstellgleis fahren und dort anhalten. Ist dieses kürzer als die europäische maximale bzw. Normlänge eines gut ausgelasteten Güterzuges von 740 Metern plus Lok, muss der Güterzug kürzer fahren. Ähnlich ist es bei einer Abstellung für einige Stunden oder über Nacht. Die Länge des Überholgleises ist damit ausschlaggebend für die Länge des Güterzuges. Tatsächlich sind sogar rund 60 Prozent der Güterzüge unter 600 Meter lang. Nicht immer, aber sehr häufig wegen zu kurzen Überhol- und Abstellgleisen. Da ein:e Triebfahrzeugführer:in mit einem 740 Meter langen Güterzug bis zu 52 Lkw ersetzen kann, geht es um mehr Effizienz und weniger Treibhausgas-Emissionen sowie Kapazitätsbedarf im Schienennetz.
Die Einführung eines flächendeckenden 740-Meter-Netzes würde dem Schienengüterverkehr und dem Betriebsablauf im Netz insgesamt zugutekommen.
Die Nutzlänge zu erhöhen, scheint ein kleines Hexenwerk zu sein, so langsam wie es voran geht. In manchen Fällen sind die Gleise lang genug, aber es muss ein Signal versetzt werden. Bei der Verlängerung eines Gleises muss mindestens eine Weiche verlegt werden. Für den Neubau eines 740-Meter-Gleises ist in der Regel bereits ein Planfeststellungsverfahren notwendig und manche 740-Meter-Gleise will die DB offenbar nur zusammen mit anderen größeren Baumaßnahmen durchführen. Alles in allem geht es einfach zu langsam, denn die Vorteile des Ausbaus sind vielfältig:
1. Die Produktivität steigt und die Betriebskosten sinken: Die Kosten pro Tonnenkilometer sinken, denn in zusätzlichen Waggons können bei ein- und derselben Fahrt mehr Güter transportiert werden.
2. Die Auslastung des Schienennetzes entspannt sich, denn die bestehende Infrastruktur wird besser genutzt. So kann auch die Verkehrsleistung des Schienengüterverkehrs steigen. DIE GÜTERBAHNEN und die verladende Wirtschaft brauchen das dringend als Übergangsstrategie, bis neue Strecken fertig gebaut sind.
3. Der Energieverbrauch sinkt: Das Verkehrsvolumen kann durch weniger Züge abgedeckt werden. Das spart Strom und dessen Kosten. Die Koordination mit dem Personenverkehr wird vereinfacht. Unverständlich ist daher, warum Bund und DB in der laufenden Diskussion über die neue Richtlinie für die Transeuropäischen Netze die Mindestzahl der 740-Meter-Gleise auf den wichtigen Korridoren niedriger ansetzen will als die Europäische Kommission oder DIE GÜTERBAHNEN.