1992 – vor genau 30 Jahren, erteilte der Bundestag erstmals den Auftrag, die Bahnstrecke zwischen Hof und Marktredwitz in Oberfranken mit Oberleitungen zu elektrifizieren. Bis heute steckt das Vorhaben jedoch in der Planungsphase, ebenso wie der südlich von Marktredwitz nach Weiden, Regensburg und weiter in Richtung Österreich führende Teil des „Ostkorridors“. Nach unbestätigten Äußerungen von Beteiligten könnte durchgehend elektrischer Betrieb dort vielleicht erst 2037 möglich sein. Auch 2022, 2031 und 2033 wurden schon genannt. Den erstgenannten Termin brachten Bundestagsabgeordnete aus der Region aus Gesprächen mit der DB-Spitze 2017 mit. Das Vorhaben wurde, Stand Ende 2022, bislang nicht begonnen und ist aktuell weit von der Realisierung entfernt.
Schienenverkehr elektrisch, statt mit Diesel zu betreiben, hat fast ausschließlich Vorteile: Die Züge sind leistungsfähiger, leiser und instandhaltungsärmer. Energieverbrauch sowie CO2-Ausstoß sinken – nicht zuletzt wegen der Energierückspeisung ins Bahnstromnetz beim Bremsen. Allerdings müssen Bund und DB Netz in die Oberleitung ein bis drei Millionen Euro pro Streckenkilometer zuzüglich der Anbindung an die Stromversorgungsnetze investieren.
Seit vielen Jahren hapert es genau daran: Der Bund stellt zu wenig Geld für die Elektrifizierung zur Verfügung und erschwert sie durch Nutzen-Kosten-Rechnungen, in denen die Antriebswende im Schienenverkehr hin zur Klimaneutralität praktisch keine Rolle spielt.
Seit Jahren verharrt der Anteil der elektrifizierten Strecken bei knapp über 60 Prozent des deutschen Schienennetzes. Reisende müssen umsteigen, wenn der elektrische Reisezug nicht mehr weiterfahren kann. Im Güterverkehr ist der Lokwechsel in der Praxis ein noch viel größeres, nämlich wirtschaftliches Problem: „Elektrifizierungslücken“ führen dazu, dass Verkehre von vornherein über andere Strecken fahren. Die nicht elektrifizierte Strecke zwischen Hof und Regensburg beziehungsweise Freilassing und Rosenheim ist die größte Elektrifizierungslücke Deutschlands. Sie verdrängt Güterverkehre zwischen Österreich sowie Bayern und den Nordseehäfen auf die überlastete Strecke über Würzburg, Bebra und Hannover. Auch fehlt sie als Teil einer Umleitungsstrecke zwischen dem Norden und Tschechien, Slowakei und Ungarn, wenn die reguläre Strecke durch das Elbtal südlich von Dresden wie so oft wegen Bauarbeiten gesperrt ist.
Doch Bund und DB Netz schoben die Elektrifizierung bisher immer weiter in die Zukunft. Mit den Jahren kamen zum ursprünglichen Auftrag noch weitere Abschnitte hinzu. So wurde im Bundesverkehrswegeplan 2003 die Elektrifizierung südlich von Marktredwitz bis Regensburg als Prüfauftrag festgeschrieben, es geschah jedoch weiterhin nichts. In dem 2016 verabschiedeten und aktuell geltenden Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde die Strecke sogar bis Obertraubling (südlich Regensburg) in die höchste Planungspriorität, den „Vordringlichen Bedarf – Engpassbeseitigung“, aufgenommen. Eine erste Planung wurde jedoch im Bundesverkehrsministerium gestoppt, weil nun die Elektrifizierung mit weiteren Maßnahmen an der Strecke in einem Aufwasch mit erledigt werden soll: vom Bau von neuen Stellwerken über Lärmschutzmaßnahmen bis zu Bahnübergangsbeseitigungen und Bahnsteigarbeiten. Dafür sind jedoch viel weitreichendere Untersuchungen und Diskussionen erforderlich, so dass die Antriebswende in Ostbayern möglicherweise noch lange warten muss. Das gleiche passiert landauf, landab mit vielen Dieselstrecken. In den vergangenen fünf Jahren wurden in ganz Deutschland nur 585 Kilometer bestehender bundeseigener Eisenbahnstrecken nachelektrifiziert. Die jüngste Erweiterung des elektrischen Netzes ist dabei erst zwei Tage alt: Zehn Jahre nach dem neuen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven konnte auch die 70 Kilometer lange Oberleitung bis Oldenburg in Betrieb genommen werden. Besser spät als nie, aber insgesamt zu langsam für die Transportwende.
Wie zum Beweis der Unentschlossenheit hat die Ampel-Koalition erst vor drei Wochen mit ihrem Bundeshaushalt für 2023 das „Programm Elektrische Güterbahnen“ drastisch gekürzt. Es bedarf jedoch mehr und nicht weniger Bundesmittel für die Umsetzung. Die Regierung muss sich daran messen lassen, was sie konkret tut, um Verkehr auf die Schiene zu verlagern und die Bedingungen im Schienennetz für Güter- wie Personenverkehr zu verbessern. Die Elektrifizierung sollte ohne Erledigung anderer Arbeiten vor allem dort schnellstens vollzogen werden, wo Strecken in den kommenden Jahren als Umleitungsstrecken für gesperrte Korridore gebraucht werden, während auf diesen gebündelt monatelange Sanierungsmaßnahmen stattfinden. Die Planung muss sich auf Elektrifizierungslücken konzentrieren, um neue Verkehrsverbindungen und Verkehrsverlagerung zu ermöglichen. Der Verzicht auf umfangreiche Nutzen-Kosten-Berechnungen fällt dort leicht.