Vor jedem Fahrtbeginn muss die Funktionstüchtigkeit der Bremsen eines Güterzuges geprüft werden: Logisch, denn die Fahrt eines mehrere Tausend Tonnen schweren Zuges muss jederzeit verlässlich abgebremst werden können. Damit das immer gewährleistet ist, kommt die sogenannte Bremsprobe vor ausnahmslos jeder Abfahrt ins Spiel. Aktuell dauert sie durchschnittlich 90 Minuten und muss bei einem Güterzug in händischer Einzelarbeit von sogenannten Wagenmeister:innen durchgeführt werden.
Wo Wettbewerb herrscht, sind Werkzeuge, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern, natürlich immer gefragt. Durch die Einführung der sogenannten “automatischen Bremsprobe” können pro Güterzugfahrt mindestens 80 Minuten eingespart werden. Die Ersparnis würde die Gesamttransportdauer für die Kunden verkürzen, den Personalbedarf senken und die Nutzbarkeit von Loks und Wagen erhöhen – also insgesamt die Produktivität des Schienengüterverkehrs steigern. Während Personenzüge an eine elektrische Energieversorgung angeschlossen sind und dadurch eine kontinuierliche Rückmeldung zum Zustand der Bremsen erfolgt, muss die Kontrolle auf intakte Bremsen bei einem Güterzug durch speziell für die Bremsprobe geschultes Fachpersonal vorgenommen werden – und das an jedem einzelnen Wagen des Zuges. Ein zeitintensiver Vorgang, dessen Dauer von der Länge des Güterzuges abhängt, da Wagenmeister:innen alle Wagen des Zuges auf beiden Seiten ablaufen und deren einzelne Bremsklötze kontrollieren müssen. 90 Minuten dauert dieser Vorgang im Schnitt.
Was ist eine „manuelle Bremsprobe“?
Das Bremssystem eines Güterzuges funktioniert mit Druckluft: Die Luftverdichtung erfolgt in der Lok mithilfe eines Kompressors. Die Luft wird von dort über eine durchgehende Leitung, in Deutschland die sogenannte Hauptluftleitung, in die einzelnen Bremssysteme der Wagen eingespeist. Damit die Bremssysteme betriebsbereit sind, muss der Druck in der Leitung fünf Bar betragen. Die Bremsklötze können dann bei Bremsbedarf mit Hilfe des Drucks an das Rad gepresst werden. Der Bremsvorgang wird eingeleitet, indem auf dem Führerstand ein Bremsventil betätigt wird, wodurch Luft aus der Hauptluftleitung entweichen kann und der Druck reduziert wird. Daraufhin strömt Druckluft aus den Hilfsluftbehältern eines jeden Wagens in die Bremszylinder und drückt deren Bremsklötze an die Räder. Der Aufbau des Bremssystems in dieser Form soll gewährleisten, dass im Falle einer ungeplanten Trennung des Zuges auch die abgetrennten Wagen automatisch zum Stehen kommen. Vor Abfahrt eines neu gebildeten Zuges kontrolliert ein:e Wagenmeister:in nach Betätigung des Bremsventils im stehenden Zustand des Zuges, ob die Bremsklötze am Rad anliegen. Ist dies nicht der Fall, müssen mögliche Ursachen vor Abfahrt behoben werden.
Klingt wie ein aufwendiges System, das zwar für eine hohe Sicherheit im Betrieb sorgt, aber auch sehr viel Zeit einnimmt. So ist es auch, weswegen nach Möglichkeiten der Zeitersparnis ohne Sicherheitsverlust gesucht wird. Die noch in der Entwicklung befindliche „automatische Bremsprobe“ könnte mindestens 80 Minuten dieser händischen Arbeit einsparen. Stromleitungen oder Generatoren und Akkus lösen dabei das Problem der Energieversorgung auf dem Güterzug: Am einfachsten funktionieren Generatoren am Rad, die permanent Strom erzeugen, der von Akkus gespeichert wird. So ist es möglich, Sensoren an den einzelnen Wagen mit Energie zu versorgen, damit diese die automatische Kontrolle der Bremsklötze übernehmen und die Ergebnisse direkt an ein Tablet auf den Führerstand senden. Anstatt 90 Minuten, könnte die Dauer einer manuellen Bremsprobe durch die Automatisierung auf 10 Minuten und weniger heruntergekürzt werden und durch die Ausstattung von Güterzügen mit Energieversorgung, Kommunikationstechnik und ersten Sensoren gleichzeitig enorme Effizienz im Rangierbetrieb schaffen.
Aber das kann eine Digitale Automatische Kupplung (DAK) doch auch?
Ja, auch eine DAK kann voraussichtlich die „automatische Bremsprobe“ realisieren, weil sie eine durchgehende elektrische Verbindung durch den ganzen Zug bereitstellen soll.
Allerdings würde die sehr kosten- und vor allem zeitaufwändige flächendeckende Einführung einer DAK nach jetziger Anforderungsbeschreibung voraussetzen, dass alle Wagen auch immer zuverlässig elektrisch gekuppelt sein müssen. Kann das in Größenordnungen nicht sichergestellt werden, ist das Gesamtsystem möglicherweise störanfälliger, als es heute bzw. bei der Einführung einer „automatischen Bremsprobe“ mit dezentraler Stromversorgung und Funkverbindung zwischen Wagen und Lok der Fall wäre. Auch durch deutlich einfacher umsetzbare und vor allem kostengünstigere Innovationen können beträchtliche Sprünge in der Wirtschaftlichkeit des Schienenbetriebes im Güterverkehr erzielt werden.
Das zweite DAK-Memorandum von sieben europäischen Eisenbahnverbänden finden Sie hier.