Verlagerung und höhere Effizienz können jährlich bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 einsparen
Das Potenzial des Schienengüterverkehrs zur Verringerung der Treibhausgasemissionen liegt nach Erkenntnissen des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE) bis zu fünf Mal so hoch wie vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) angenommen. Ludolf Kerkeling, NEE-Vorstandsvorsitzender forderte in Berlin den Bundesbeauftragten für den Schienenverkehr, Staatssekretär Enak Ferlemann, auf, die Berechnungen des eigenen Ministeriums zu überprüfen. Nach Berechnungen der Verkehrsberatung KCW könnten zwischen knapp acht und über zehn Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2035 durch die Stärkung der Schiene allein im Güterverkehr eingespart werden. Kerkeling: „Für die bevorstehenden Beratungen des Klimakabinetts zum Klimaschutzgesetz kommt es auf handfeste Technologiestrategien und belastbare Zahlen an.“ Möglicherweise habe man im Ministerium noch mit älteren Zahlen gerechnet. Anders als der Koalitionsvertrag von 2018 hatte der 2016 beschlossene Bundesverkehrswegeplan keine Verkehrsverlagerung auf die Schiene unterstellt.
Das Verkehrsministerium hatte in seinen Ende Juni veröffentlichten Daten einen Einspareffekt von nur zwei Mio. Tonnen – für die Schiene und das Binnenschiff zusammen – angenommen. Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender des NEE, sagte dazu: „Das Ministerium hat seine Prämissen seinerzeit nicht veröffentlicht, was uns bewog, KCW mit einer Berechnung zu beauftragen.“ Insbesondere sei die große Kluft zu den vom BMVI benannten Einsparpotenzialen im Straßengüterverkehr (17 bis 18 Mio. Tonnen) aufgefallen, die auch nach Einschätzung der Gutachter unrealistisch hoch sind.
In der Studie hat KCW zwei Ansätze verglichen, die beide von einer Verdoppelung des Schienengüterverkehrs bis 2035 ausgehen. Die Ansätze unterscheiden sich darin, ob die höhere Schienenverkehrsleistung nur auf längeren Transportrelationen (minus 7,9 bis 8,8 Mio. Tonnen CO2) oder auch im Nahbereich (minus 9,6 bis 10,6 Mio. Tonnen CO2) erbracht wird. Eine weitere Effizienzsteigerung innerhalb des Systems Schiene, etwa durch weniger energiefressende Überholungshalte, die weitere Modernisierung der Fahrzeugflotten und einen fast vollständigen Betrieb mit Strom aus erneuerbaren Energien, sind in beiden Ansätzen für das Jahr 2035 ebenso unterstellt wie eine weitere realistische Effizienzsteigerung beim Lkw. Der maßgebliche CO2-Einspareffekt beruht aber auf der angenommenen Verkehrsverlagerung, die NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger zufolge „etwas oberhalb der Linie des BMVI im Zukunftsbündnis Schiene liegt“.
„Es kommt nun darauf an, diese Potenziale auch wirklich zu heben. Stärkung und Ausbau der Schiene sind kein Kinderspiel, aber die dafür nötigen Technologien, Rohstoffe und Prozesse sind auch im großen Maßstab verfügbar – anders als Antriebsalternativen zum Diesel-Lkw.“, so Westenberger. Statt in zehn Jahren erneut (wie bei den Klimazielen 2020 oder bei der Zielmarke für E-Autos) festzustellen, dass sich große Ziele nicht von allein umsetzten, könne mit dem geplanten Klimaschutzgesetz und dem Bundeshaushalt 2020 der Startschuss für ein Wachstums- und Modernisierungsprogramm der Schiene gegeben werden, in dem von der Bahn- und Bauindustrie bis zu den Verladern endlich alle an einem Strang zögen.
Die Messlatte liegt hoch: der Verkehrsbereich in Deutschland soll seinen Ausstoß klimarelevanter Gase von aktuell 165 Mio. Tonnen CO2 auf etwa 98 Mio. Tonnen im Jahr 2030 senken. Allein der Straßengüterverkehr stößt aktuell etwa 52 Mio. Tonnen jährlich aus, während die Schiene im Güterverkehr das Klima mit etwa 2,5 Mio. Tonnen belastet. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität nimmt an, dass der Ausstoß im Straßengüterverkehr im Jahr 2030 ohne gezielte Gegenmaßnahmen um weitere knapp 6 Mio. Tonnen angestiegen sein würde.
Die ebenfalls von KCW erstellte Studie zum notwendigen Ausbau der Infrastruktur für eine Verdoppelung des Güterverkehrs finden Sie hier, die vom NEE publizierte Studie zur Machbarkeit dieses Ziels aus eisenbahnbetrieblicher Sicht hier.